Zum 10. Geburtstag der Shyft

von David Feldbusch (Gründungsmitglied der Shyft)

Scheiße Digga, ist das jetzt wirklich schon 10 Jahre her!? Wenn ich ehrlich bin, hat mich diese unerwartet zweistellige Zahl in Frau Körtings WhatsApp-Nachricht kalt erwischt. Als ich selbst noch in der Schule war, haben wir uns hin und wieder über diese alten Leute lustig gemacht, (gemeint waren die damals Ü20), wie sie über die guten alten Schulzeiten sinnieren. Aber jetzt bin ich selbst einer von ihnen.

Es ist schon absurd, dass es mittlerweile zehn Jahre her ist, als wir damals nach dem Deutschunterricht noch mit Frau Körting im Klassenraum geblieben sind, um über die Schülerzeitung zu brainstormen. Damals, als wir einen extra Workshop von einer engagierten Mutter bekommen haben, in welchem wir uns über Rubriken, konkrete Inhalte und den Namen der Schülerzeitung den Kopf zerbrochen haben. Oder als wir unseren ersten eigenen Raum (shout-out an den OG Raum 108) bekommen haben. Gut, es fühlt sich nicht so an, als wäre das alles gestern passiert, aber zehn Jahre ist schon viel Zeit.

Mittlerweile bin ich in dem Alter angekommen, wo ehemalige Mitschüler*innen ihr Studium abgeschlossen haben und mit ihren Vollzeitjobs anfangen, mit ihren Partner*innen zusammenziehen oder sogar Kinder kriegen (Digga…). Wenn man dann wieder über drei Ecken diese Neuigkeiten zugesteckt bekommt und sich an einem verkaterten Mittwochmittag im Spiegel anschaut, fängt man schon an, darüber nachzudenken, ob bei einem nicht auch langsam mal der Sprung in den nächsten Lebensabschnitt folgen sollte. Der Druck ist da. Indirekt durch diese Stories, aber auch durch die Gesellschaft und die Krankenkasse, da ich ab meinem 25. Lebensjahr nicht mehr über meine Familie versichert sein kann und die Beiträge selber bezahlen muss. Aber was ist überhaupt alles passiert in diesen zehn Jahren?

Als ich 2018 mein Abitur gemacht habe, hatte ich keinen Plan von irgendwas. Dies hat dann auch dazu geführt, dass ich das erste Jahr mit viel Rumdümpeln und Jobben verbracht habe. 2019 habe ich dann schließlich mit meinem Lehramtsstudium angefangen. War es aus Überzeugung? Absolut nicht. Hatte ich wenigstens Lust darauf? Ein bisschen. Seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen und ich bewege mich inzwischen weit entfernt von der Regelstudienzeit durch die Uni. Nicht nur dies bringt Zweifel an meiner Studienwahl, auch Corona hat einen dicken Strich durch meine Pläne gemacht. Jetzt stehe ich kurz vor meinem Bachelor-Abschluss und stelle mir erneut die Frage: Was will ich mit meinem Leben anfangen? Was für einen Beruf will ich ausüben? Und welcher Studiengang passt am besten dazu?

Grundsätzlich ist das ja eine nervige Situation. Man soll sich für einen Weg entscheiden, obwohl man keine Ahnung hat, wie genau sich dieser am Ende wirklich entwickeln wird. Es kann passieren, dass man auf Anhieb genau das Richtige findet und am Ende wunschlos glücklich mit der Entscheidung ist. Es kann aber auch passieren, dass man nach ein, zwei Jahren merkt, dass man auf diesen Weg gar keinen Bock hat. Oder es eröffnet sich zufällig noch ein anderer Weg, den man zuvor gar nicht auf dem Schirm hatte. Beispielsweise kenne ich jemanden, der anfangs sehr große Lust auf ein Chemiestudium hatte, aber mittlerweile eine Tischlerausbildung erfolgreich abgeschlossen hat – und sehr glücklich mit dieser Entscheidung ist. Fazit: Man kann aufgrund der Umstände nicht die eine richtige oder „perfekte“ Entscheidung treffen, weil man nie weiß, wie sich die Dinge entwickeln werden. Trotzdem sollte es schon der eigene Anspruch sein, eine bewusste Entscheidung zu treffen, (das spart einem sehr viel Zeit, glaubt mir). Aber wie komme ich denn überhaupt zu einer solchen Entscheidung?

Im Gegensatz zu damals fühle ich mich mittlerweile sehr viel besser dazu in der Lage, diese Frage zu beantworten. Schließlich hatte ich genug Zeit über meinen weiteren Weg nachzudenken, habe mich viel mit anderen Menschen über ihren Werdegang ausgetauscht und konnte schon ein paar Sachen ausprobieren. Insofern möchte ich hier gerne ein paar Erkenntnisse teilen, in der Hoffnung, dass sie vielleicht irgendjemandem weiterhelfen können.

Erstmal sollte man sich mit der ganzen Sache nicht zu viel Stress machen. Man kann sich monatelang den Kopf über den passenden Studiengang oder Ausbildungsplatz zerbrechen und am Ende doch merken, dass es keine passende Entscheidung war. Und außerdem: Alle anderen sind mindestens genauso lost wie man selbst. Es gibt sehr viele Leute, die nach ihrem Bachelor immer noch nicht genau wissen, was sie damit nun anfangen sollen. Dieses Gefühl von Ratlosigkeit, Überforderung und auch ein bisschen Verzweiflung ist völlig normal. Wichtig ist, dass man der Auseinandersetzung mit dem Thema nicht aus dem Weg geht und sich auf Dinge einlässt, viel ausprobiert.  

Es ist außerdem sehr wertvoll, wenn man nach dem Schulabschluss erstmal ein Jahr aus dem Bildungs-Hustle rauskommt und eine neue Umgebung und einen neuen Lifestyle kennenlernt. Sei es reisen mit dem Geld von Mami und Papi, arbeiten, um sich eine längere Reise selbst zu finanzieren, Work and Travel, FSJ, FÖJ, Praktika oder ein Orientierungsstudium. Ich habe noch nie eine Person getroffen, die es bereut hat, vor dem Studium oder der Ausbildung ein Jahr was anderes gemacht zu haben. Ganz im Gegenteil: Alle waren sehr froh und berichten, dass es ihnen viel für ihren weiteren Weg gebracht hat. Außerdem bietet einem diese Phase auch mehr Zeit und Gelegenheit, sich Gedanken über seinen weiteren Bildungsweg zu machen und vor allem, Praxiserfahrung zu sammeln und sich selbst auszuprobieren.

Dies schließt auch direkt an meinen nächsten Rat an: Sich tiefgründiger mit seinen Interessen beschäftigen. Ein Interesse ist erstmal „nur“ ein Interesse. Es ist geil, wenn man ein Interesse für etwas identifizieren kann, dies ist jedoch nur ein Ausgangspunkt auf der Suche nach dem eigenen Weg, keine Entscheidung. Ein bloßes Interesse macht noch keinen passenden Beruf. So kann es sein, dass sich eine Person unglaublich für Tiere interessiert. Sollte sie deswegen direkt im Zoo arbeiten? Nein, da es immer viele andere Möglichkeiten gibt, ein Interesse auf einen Beruf zu übertragen. So könnte man beispielsweise als Tierärzt*in, Jurist*in im Bereich Tierschutzrecht, oder auch als Biolog*in in einem Naturschutzgebiet arbeiten. Alles Berufe mit Tieren, alles völlig verschiedene Berufsbilder. Daher sollte man versuchen, sich genauer mit den eigenen Interessen auseinanderzusetzen, um für sich weiterführende Fragen zu beantworten, wie: Was genau interessiert mich an dieser Sache/an diesem Gebiet? Auf welche Art und Weise setze ich mich damit gerne auseinander? Was hätte ich gerne für einen beruflichen Alltag?

Auch hinter diesem Baum lag meine perfekte Karriere nicht, aber ich musste mich vergewissern.

Wie gesagt, kann man diesen langen Weg zu einem passenden Beruf leider nur zu einem gewissen Grad beeinflussen. Viel hängt von Zufall, Glück und anderen externen Faktoren ab, über die man leider keine Kontrolle hat. Was ich aus meinem Umfeld mitbekomme, ist, dass diese Zufälle und externen Faktoren jedoch in den allermeisten Fällen zu unerwartet positiven Situationen führen und nur selten einen Weg verbauen. Solange man sich Mühe gibt und nicht komplett unüberlegt seine Entscheidungen trifft, stehen die Chancen schon ganz gut, dass man im Verlauf des eigenen Weges immer weiter in eine Richtung schlendert, mit der man sehr zufrieden sein kann. Und dann passiert es halt, dass man irgendwann mal dazu gebracht wird, einen Blick zurückzuwerfen und zu merken, dass einfach schon verdammte zehn Jahre vergangen sind, seitdem man damals in irgendeinem Klassenzimmer an einer Schülerzeitung gearbeitet hat.