“Ich möchte bitte Deutsch lernen.”

Ein Seminarkurs zu Besuch in der Volkshochschule

Nein, ich gehöre nicht zu diesem Kurs. Es braucht einige Augenblicke, bis die löblichen Mitglieder des Seminarkurses Integration und Partnerschaft, denen weder durch plötzlich auftauchende Arzttermine noch durch unverschiebbare Fahrstunden die Teilnahme an der Exkursion in die Volkshochschule verwehrt wurde, es bemerken. Unverständnis wird laut. Wer macht schon freiwillig eine Exkursion mit? Na, ich. Und außerdem bin ich ja im Dienste des Journalismus hier. Oder so ähnlich.

Wir landen in einem kleinen Raum am Ende des Flurs – in der Volkshochschule in Berlin-Mitte – wo man sich der ahnungslosen und kursfremden Shyftlerin erbarmt und ihr erklärt, was nun heute eigentlich auf dem Programm steht. Herr Sowieso*, scheinbar der Kopf der Abteilung, gibt einen Überblick: Wir werden uns heute mit den Deutsch- und Integrationskursen der Berliner Volkshochschule befassen. Es wird mehrere Gruppen geben, die abwechselnd bei der Beratungsstelle, dort, wo auch die Sprachtests zur Einstufung durchgeführt werden, und in den verschiedenen Deutschkursen hospitieren.

Diese Kurse, erklärt er weiter, werden aus verschiedensten Gründen besucht: Basiswissen ist für die Einbürgerung Pflicht, auch das Jobcenter finanziert häufig Sprachkurse und nicht wenige kommen freiwillig her, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Gegliedert sind die Kurse in die Module A 1.1 bis C 2, wobei der Bereich A die Grundlagen der deutschen Sprache beinhaltet. Bereich B – das Ziel der herkömmlichen Deutschkurse – ist die Grundvoraussetzung für die meisten Berufe und C ermöglicht das Studieren und Ausüben höherer Berufe. “Das ist dann schon richtig schwer”, stellt Herr Sowieso klar, “So ein Deutsch sprechen nicht mal 20% von denen, die da draußen so auf der Straße herumlaufen.”

Im Deutschkurs A 1.1 geht es schweigsam zu. Die Schüler – ein bunt gemischter Haufen aller Nationalitäten und Altersgruppen – schauen betreten in ihre Hefte. Wie sollte es auch anders sein, schließlich steht jeder hier mit seiner Landessprache alleine da: Der einzige gemeinsame Nenner ist Deutsch, und der ist in “unserem” Kurs noch ziemlich klein. Die Deutschlehrerin spielt ein Hörbeispiel ab und die Schüler setzen in träger Routine Kreuzchen in ihren Heften. Irgendwie klingt die Tonbandstimme falsch, überbetont, fast wie die Haltestellenansage in der S-Bahn. Wir stoßen uns gegenseitig an, kichern hinter vorgehaltener Hand fragen uns insgeheim, ob sich die Höraufgaben in unserem Englischunterricht wohl ähnlich kurios anhören. Währenddessen versucht sich die Deutschlehrerin vor der Tafel in einer pantomimischen Darstellung – in den Augen der Schüler spiegelt sich Ratlosigkeit. Nur das Mädchen im rosafarbenen Pullover ganz hinten rechts versteht. Sie ist schon weiter als die Anderen, und sie nascht im Unterricht aus einer Tüte mit Gummischnullern, grinst verschwörerisch zu uns herüber und lässt es sich nicht nehmen, hin und wieder ihre Lehrerin hinter deren Rücken zu parodieren.

Gegen Ende taut der bunte Haufen ein wenig auf, einige sind früher gegangen und der Rest rückt zur Partnerarbeit zusammen, die schüchterne Asiatin zeigt dem älteren Herren mit den bunten Jeans, welche Aufgabe er zu bearbeiten hat und auch die Frau mit der sauberen Handschrift und dem lila Kopftuch rechts neben uns meldet sich zu Wort. “Klingeling! – Stundenende!”, ruft die Lehrerin, offensichtlich um Fröhlichkeit bemüht, und wir verlassen den Unterrichtsraum – ein Klassenzimmer wie aus dem Bilderbuch, mit Tafelschwamm, Waschbecken, Weltkarte und bunter Kreide.

Die Seminarkursler versammeln sich um einen großen Tisch und tragen Erfahrungen zusammen: Hier war es langweilig, dort war es spannend, und “manche von diesen Deutschland-Tests sind echt verdammt schwer. Also ich wüsste diese ganzen Jahreszahlen nicht.” Ja, entgegnet unserer Herr Sowieso, dass sind die Tests über das Leben in Deutschland und die deutsche Kultur, die muss man auch für die Einbürgerung ablegen.

Nach dem Rollentausch drängen wir uns hinter dem Bürotisch der Beratungsstelle zusammen. Das ist also die erste Anlaufstelle, erklärt Herr Sowieso, an der den Einwanderern nach ihren diversen Behördengängen das Gefühl gegeben wird, dass sie tatsächlich willkommen sind. Deshalb wird seitens der Mitarbeiter – die übrigens alle selbst Lehrer sind – auch auf einen unbürokratischen, freundschaftlichen Umgang geachtet.

Tatsächlich herrscht eine lockere Atmosphäre an der Grenze zum Chaotischen vor. Eine Nummer wird aufgerufen. “Ich möchte bitte Deutsch lernen.”, nuschelt die Frau mit dem Baby im Arm, die eintritt. Ich frage mich, wie oft die Mitarbeiter diesen Satz pro Tag zu hören bekommen. Getuschel bricht unter den Hospitanten aus “Wie lange die wohl schon in Deutschland ist?”, “Guck mal, das Baby, wie niedlich!”, “Ich fände es voll cool, hier zu arbeiten. Das ist doch mega spannend!”

Wir dürfen uns den Ausweis der Kandidatin ansehen, während sie für einen Kurs eingetragen wird: Sie ist die Frau eines Botschafters und seit 2014 im Lande.

Währenddessen macht ein ausgesprochen kleiner Herr einen Sprachtest im hinteren Teil des Raumes. Für seinen Beruf braucht er nur Englisch, aber er möchte sich auch in Deutsch verbessern. “Und – was macht ihr alle hier?”, fragt er, ein bisschen ratlos beim Anblick der untereinander flüsternden Schüler hinter dem Schreibtisch. Tja, wir… gucken eben zu. Dann sollen wir doch mal raten, aus welchem Land er stammt, schlägt er vor, und grinst verschlagen: “Da kommt ihr nie drauf!”

Später korrigieren wir seinen Test, einen Lückentext, in den die richtige Verbform – unten in drei Auswahlmöglichkeiten angegeben – eingetragen werden muss. Irgendwie schon grausam, Sprache so auf Regeln zu reduzieren, denke ich mir.

Macht es denn überhaupt Sinn, auf diese Weise Sprache zu vermitteln? Tut man der Sprache nicht Unrecht damit, sie in tausend grammatische Regeln zu zwängen, die ohnehin wieder von Millionen Ausnahmeregelungen entkräftet werden? Ist es nicht besser, wie in Nirgendwo in Afrika wieder ganz von vorn anzufangen? Die neue Sprache wieder durch beobachten, anfassen, nachsprechen zu erschließen? Ist das nicht am Ende der einzig wahre Weg, um eine Sprache zu begreifen?

Doch wenn ich ehrlich bin, sind es (ausnahmsweise) weder Tiefsinnigkeiten noch Grundsatzdiskussionen, die mir von diesem Tag erhalten bleiben. Es sind die Leben, Geschichten, Schicksale so vieler Menschen, die an diesem Punkt zusammenlaufen. Diese Demonstration der Vielfältigkeit: Hier wird die Bandbreite des Menschseins ausgelotet. Hier ist alles möglich und alles schon passiert. Und es gibt tausend Geschichten, die erzählt werden wollen.

Lisa Starogardzki, 27.04.15

*Erstens: Namen sind unwichtig. Zweitens: Habt ein bisschen Mitleid mit vergesslichen Mitmenschen!