Queer – Liebe hat viele Gesichter
Ein Workshop zum Thema sexuelle Vielfalt
Trotz ausgehängter Plakate und Mundpropaganda durch die Eingeweihten hatte, wer sich am 20. Mai zum ersten Treffen in Raum 105 zusammenfand, aller Wahrscheinlichkeit nach von Frau Purrmann oder Frau Fey, also den Veranstaltern höchstselbst, von deren Workshop Queer – Liebe hat viele Gesichter erfahren. Schüler sind in ihrem natürlichen Lebensraum erstaunlich merkbefreit, was interessante Gelegenheiten angeht, ich ebenso. Ein ungeklärtes Phänomen.
Nach und nach wächst das kleine Grüppchen, das schweigsam und ein bisschen erschöpft vom Schulalltag Tische beiseiteschiebt und Stühle zu einem Stuhlkreis zusammenstellt. Wir kennen einander kaum, 15 Oberstufenschüler, Zehnt- und Neuntklässler, von denen jeder zunächst im Kreise seiner zwei oder drei mit angeschleppten Freunde verbleibt. Die obligatorischen Kreppband-Namensschilder wollen einfach nicht kleben bleiben, dafür gibt es aber Kekse für alle und wir lächeln einander verstohlen von den gegenüberliegenden Seiten des Stuhlkreises zu, verwundert darüber, dass wir all diesen Leuten scheinbar noch nie irgendwo im Schulhaus begegnet sind.
Der Workshop beginnt mit einer Runde Begriffserklärung, denn mal ehrlich, schwul und lesbisch sind zwar klar, aber was zur Hölle bedeutet eigentlich cissexuell, wo liegt der Unterschied zwischen sex und gender (Gibt es überhaupt einen?) und meinen transsexuell und transgender eigentlich dasselbe? Wir versuchen, die Begriffskärtchen auf dem Boden richtig zu gruppieren. Hin und wieder sagt jemand etwas oder steht auf, um einen Begriff neu zuzuordnen, dazwischen liegen langgezogene Momente unsicheren Schweigens. Ganz so schnell wollen wir uns dann doch nicht aneinander gewöhnen. Erst kurz vor der Pause tauen wir, belustigt über unsere eigene Unwissenheit, ein wenig auf und bekommen nach langem Herumrätseln auch endlich die Antwort auf unsere Fragen: Als cissexuell bezeichnet man eine Person, bei der biologisches und psychisches Geschlecht, und bedingt auch das Verständnis der sozialen Rolle des eigenen Geschlechts, miteinander übereinstimmen. Sex bezeichnet im Englischen das biologische Geschlecht, während gender für die diesem Geschlecht zugeordneten Normen und typischen Verhaltensweisen sowie für das psychische Zugehörigkeitsgefühl zu einem Geschlecht steht. Demzufolge bezeichnet Transsexualität also einen Unterschied zwischen biologischem und “gefühltem” Geschlecht, während Transgender für das Abweichen von den Rollenbildern eines Geschlechts steht. Ganz schön viel sprachliches Durcheinander, finden wir, und gönnen uns erstmal eine kleine Pause.
Später teilen wir uns in zwei Gruppen auf und beschäftigen uns mit den verschiedenen Aspekten der gesellschaftlichen Akzeptanz: Wie also reagiert die Gesellschaft auf die Abweichung von der Heteronormativität (also dem als-selbstverständlich-Ansehen der Heterosexualität)? Uns fällt auf, dass in der Werbung immer nur heterosexuelle Paare und klassische Familienbilder zu sehen sind, während das Thematisieren aller übrigen sexuellen Orientierungen gleich mit Sensationsvermarktung und Hypes in Zusammenhang gerät. Wo bleibt die Toleranz, wenn alle ein homosexuelles Pärchen auf der Straße begaffen? Ein weiterer, über den ganzen Nachmittag hinweg heiß diskutierter Punkt sind Mitschüleraussagen bezüglich des Workshops, die ein wir leben doch schon in einer toleranten Gesellschaft zum Inhalt haben. Das finden wir nämlich absolut nicht, ganz im Gegenteil, es muss dringend etwas getan werden gegen Scheintoleranz, faule Ausreden und das Festhalten an Stereotypen – nur leider ist der Nachmittag zu Ende, noch ehe wir richtig in Fahrt kommen können.
Der nächste Tag bringt Aktivität: Man kennt sich, man grüßt sich, man steckt tuschelnd die Köpfe zusammen. So schnell kann das gehen. Wir sind unruhig, voller Tatendrang: “Ist doch Käse, dass keine Homophoben hier sind, so kann man gar nicht richtig diskutieren!”. Ja, wir sind ein bisschen streitlustig heute, und wir wollen uns auch nicht so ganz mit dem begnügen, was man uns anbietet.
Wieder ist eine Gruppenarbeit zu verschiedenen Themen geplant: Outing, Einschreiten bei homophoben Äußerungen im Alltag, Aufklärungsmöglichkeiten in der Schule und so weiter. Diese Themen gehören aber alle zusammen, finden wir, und außerdem interessieren wir uns für alles. Deshalb schieben wir unsere Tische kurzerhand zu zwei großen Gruppen zusammen, stapeln alles Material in der Mitte und fangen an zu diskutieren. Keksteller und Obststückchen wechseln die Besitzer.
Auf Beleidigungen, die keine sind, einfach mit Dank reagieren, homophobe Klischees offen in Frage stellen, Aufklärung in der Schule betreiben, wo die Eltern versagen. Nur so können wir eine tolerante Gesellschaft schaffen. Und auch die Gegner der Thematisierung von sexueller Vielfalt im Lehrplan bekommen ihre wohlverdiente Abreibung “Das ist so hohl, da kann man einfach nichts zu sagen.”, ist das einzige, was uns zu der Aussage Ich habe Angst, dass mein Kind schwul wird, wenn es in der Schule über alle sexuellen Orientierungen aufgeklärt wird, einfällt. Überhaupt kommt Sexualkunde im Unterricht zu kurz, fällt uns auf.
Als wir am Schluss alle zusammenkommen – obwohl wir bereits lautstark kundgetan hatten, dass wir gerne noch länger geblieben wären – sind wir geradezu aufgeladen mit Ideen: Wir wollen uns mit zwei Tagen einfach nicht zufrieden geben. Wir wollen uns regelmäßig treffen. Eine offene Diskussionsrunde gründen. Einen Seminarkurs sexuelle Vielfalt ins Leben rufen. Einen Projekttag oder warum nicht gleich eine ganze Projektwoche zum Thema Toleranz organisieren – es genügt uns nicht, immer nur die Vergangenheit von allen Enden aufzudröseln, wir wollen uns mit der Welt befassen, in der wir jetzt leben, mit aktuellen Problemen, und wir wollen etwas verändern!
Wenn sich also demnächst etwas an unserer Schule tut, dann waren wir das.
Einen herzlichen Dank an Frau Purrmann und Frau Fey für diesen Workshop, für die Inspiration, die Diskussion, für das ins-Rollen-bringen unserer Ideen, für das Aufbringen von Zeit und Engagement und dafür, dass sie vielleicht etwas viel Größeres haben entstehen lassen, als wir uns alle erträumt hatten.
Lisa Starogardzki, Mai 2015