Reisebericht: Rom

Rom ist anders. Das muss hier einfach mal gesagt werden. Aller Großstadt-Globalisierungs-Vereinheitlichung zum Trotz bewahrt sich diese Stadt ihr ganz eigenes Gefühl, dass in jeder Gasse zu spüren ist: Eine Mischung aus Hitze, Beige- und Orangetönen, engen Straßen mit sich darüber neigenden Häusern, pseudo-intellektuellen Touristengruppen und Trinkwasserbrunnen an jeder Ecke. Eindrücke, die sich, ähnlich wie Kindergeschrei und Wasserplatschen im Schwimmbad augenblicklich mit einem Gefühl, einem Gesamtbild, eben mit Rom verbinden.

Wir erreichen die Stadt gegen 11:30 Uhr, das mediterrane Klima schlägt uns beim Verlassen des Flughafengebäudes entgegen und einige seltsam gedrungene Büsche bezeugen, dass wir uns tatsächlich nicht mehr in Deutschland befinden. Ansonsten ist von dem Zauber Roms allerdings noch nicht sehr viel zu spüren. Vor uns liegen ein zubetonierter Busbahnhof mit Ausblick auf ein von oben bis unten verglastes Hotel und gute eineinhalb Stunden Wartezeit. Im Shuttlebus zum römischen Hauptbahnhof, der Statione Termini können wir dann endlich einen ersten Blick auf die Ausläufer Roms werfen, auf gewundene Straßen und sandsteinerne Anwesen inmitten von dicken, dunkelgrün beblätterten Bäumen, wie Illustrationen auf nostalgischen Papierservietten.

In nächster Nähe zum Hauptbahnhof befindet sich auch unser Hotel, deren Fenster Ausblick auf die etwas heruntergekommenen, aber immernoch schönen Fassaden unserer Nachbarhäuser bieten. Die Straßen um das Hotel herum sind immer gut bevölkert, Stimmengewirr und Musik klingen auch nachts bis zu den Zimmern im dritten Stock herauf, eine gedämpfte Erinnerung an die Geschäftigkeit auf den Straßen. Unsere siebentägige Sightseeingtour beginnt noch am Anreisetag mit einem nachmittäglichen Spaziergang durch Rom: Eine ausladende Runde, die uns einen Überblick über diverse Straßen, Plätze und Gebäude verschafft. Im Pantheon, dass wie scheinbar fast jedes Gebäude in Rom zunächst Tempel und später Katholische Kirche war, bestaunen wir die gigantische Kuppel, durch deren runde Öffnung ein Streif Sonnenlicht auf die sich am Boden zusammendrängenden Touristen fällt und die zahlreichen Grabmäler. Auch den Trevibrunnen, Roms wohl bekanntesten Brunnen, bekommen wir zu Gesicht – mehr oder weniger, denn die riesige Anlage ist aufgrund von Sanierungsarbeiten bereits seit mehreren Jahren von Gerüsten umstellt und hinter einer riesigen Plane versteckt. Nichtsdestotrotz drängen sich Touristenströme vor dem provisorisch aufgebauten Steg über das trockengelegte Brunnenbecken zusammen, um einen Blick auf die antiken Skulpturen zu erhaschen oder eine Münze zu werfen. Das lassen wir lieber bleiben, und machen uns mit einem Eis in der Hand auf den Weg zur Spanischen Treppe, einer riesigen Freitreppe, die von der Piazza di Spagna hinauf zur Kirche Santa trinità die Monti führt. Dort auf den Stufen hocken gestrandete Touristen, Straßenhändler und das Jungvolk Roms erschöpft in der Nachmittagssonne und lassen es sich gut gehen. Auch wir beenden hier unser Programm und streifen in Kleingruppen ziellos durch die umliegenden Einkaufsstraßen, während wir uns langsam mit dieser Stadt vertraut machen, die für die nächsten sechs Tage unser Zuhause sein wird, mit dieser seltsamen Mischung aus Moderne und Antike, bei der man sich nie sicher sein kann, ob zwischen H&M und Desigual an der nächsten Ecke nicht vielleicht schon wieder ein marmorner Tempel aus dem Boden wächst.

Die folgenden Tage gleichen einem Bildungsmarathon: Wir marschieren durch die überfüllten Straßen, immer auf dem Weg zu irgendeiner Sehenswürdigkeit, immer noch in Gedanken mit der vorangegangenen Attraktion beschäftigt. Wir bewundern die Unmengen von Bildern, Statuen, Landkarten und Wandmalereien in den Vatikanischen Museen, einem riesigen Gebäudekomplex in der Vatikansstadt, der die Kunstsammlungen diverser Päpste enthält. Gekrönt wird der Museumsrundgang von der Sixtinischen Kapelle mit ihren wunderschönen Decken- und Wandmalereien, darunter auch Michelangelos berühmtes Gemälde von der Erschaffung Adams. Ein wirklich beeindruckender Anblick, für den sich das dreistündige Anstehen und die ganze Drängelei dann irgendwie doch gelohnt haben. Der Petersdom, den wir am späten Nachmittag desselben Tages besuchen, ist als das absolute Maximum von kirchlichem Prunk nicht minder beeindruckend. Goldverzierte Ornamente, Statuen und Gemälde scheinen sich alle gegenseitig die Show stehlen zu wollen, und als verlorener Tourist unter den hohen Decken und Kuppeln kommt es einem fast unfair vor, nicht jedem makellos ausgearbeiteten Detail dieselbe Aufmerksamkeit schenken zu können.

Von den Kapitolinischen Museen aus werfen wir zum ersten Mal einen Blick auf das Forum Romanum, und sind alle in den Bann gezogen von diesem Zusammenspiel aus mehr oder weniger verfallenen Ruinen, baumbewachsen und von sandigen Wegen umschlungen. Das antike Zentrum Roms erinnert an eine verwunschene Stadt, die noch darauf wartet, aus ihrem tausendjährigen Schlaf zu erwachen. Minutenlang stehen wir schweigend auf der Terrasse des Museums und betrachten die Aussicht. Hin und wieder flüstert jemand ein andächtiges “Das ist wunderschön.”, dass an niemanden bestimmtes gerichtet ist. Das ist der vollkommene Moment, der Moment, in dem wir alle zur Ruhe kommen, vielleicht der Moment, in dem Rom uns schließlich wirklich für sich gewonnen hat, in dem wir alle diese Stadt lieben, leben und atmen. Ein kurzer Augenblick antiken Zaubers, der genauso schnell wieder verfliegt und in ein gedämpftes Murren über schmerzende Füße und unerträgliche Hitze übergeht.

Nach all dem Prunk in den Kirchen und Tempeln der letzten Tage erscheint das Kolosseum fast schon bescheiden. Es stehen nur noch die Wände aus bloßem Ziegelstein, von den Sitzreihen ist nichts mehr zu sehen und auch die Arena in der Mitte ist verschwunden, stattdessen blickt man von den höhergelegenen Rundgängen aus direkt in die darunterliegenden Kellerräume. Von der einstigen Imposanz des Gebäudes ist kaum etwas geblieben, die schillernden Erzählungen von nachgestellten Seeschlachten und riesigen Menschenmengen sind in dieser staubigen, verfallenen Ruine kaum mehr vorstellbar. Das Kolosseum ist ein trauriger Koloss, ein gigantischer, von Wind und Wetter abgeschliffener Haufen Stein, wie ein zum schlafen zusammengerolltes Urtier im Herzen Roms.

Wir wandern durch Ostia antica, die Stadtruine einer ehemaligen Kolonie Roms, und stellen uns vor, in der Antike zu leben. Wir gehen über das antike Pflaster, bewundern die Mosaike am Boden der Therme, betrachten und befühlen antike Gefäße und Mühlsteine. Dabei fachsimpeln wir über die Möglichkeiten von virtual reality – Wäre es nicht cool, wenn man sich beim Spazieren durch die Ruinen anschauen könnte, wie es in der Antike dort aussah? – und philosophieren über die Notwendigkeit von Handys und den Fluch der modernen Welt. Vielleicht sollten wir einfach hierbleiben, inmitten der Überreste einer vergangenen Hochkultur, und eine Sekte gründen, in der alle nur Toga tragen und abgeschnitten von der Außenwelt nach den Regeln und Möglichkeiten der Antike leben. Oder wir sollten uns beeilen, damit wir noch rechtzeitig zum Strand kommen, bevor es zum Forum Romanum geht.

Das Forum Romanum erreichen wir mit Sonnenbrand. Vielleicht war das mit dem Strand doch keine so gute Idee, auch wenn das erfrischende Meerwasser uns allen gut getan hat. Staunend gehen wir zwischen den antiken Mauern und verfallenen Palästen umher. Allerdings bleibt die Aussicht aus dem Kapitolinischen Museum unübertroffen. Das Forum Romanum scheint seine Schönheit nur als Gesamtbild ganz zu entfalten und ist inmitten der Trümmer schwer zu überblicken.

Auch das Goethehaus wird besichtigt, immerhin sind wir ja ein Deutsch-Zusatzkurs, und da Italien eine der hauptsächlichen Inspirationsquellen des Schriftstellers und Dichters war, darf sein damaliges Wohnhaus in unserer Sehenswürdigkeitenliste natürlich nicht fehlen. Von Goethe selbst ist allerdings kaum mehr etwas zu spüren. An Möbeln und persönlich Gegenständen ist so gut wie Nichts erhalten, stattdessen betrachten wir seine Zeichnungen, Portraits und populäre Bilder seiner Zeit an den weiß getünchten Wänden des Goethemuseums und lauschen gespannt den Geschichten über Liebschaften und Ärgernisse, die sich hier abgespielt haben sollen. Authentischer erscheint da schon der Protestantische Friedhof Roms, auf dem auch Goethes Sohn begraben liegt. Tatsächlich unter diesem Namen übrigens, Goethes Sohn. Wir sind empört. Dass dieser Mann, der scheinbar ohnehin sein ganzes Leben lang nicht aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten vermochte, nicht einmal unter seinem eigenen Namen begraben wurde, ist uns unbegreiflich.

Am vorletzten Tag der Romreise steht die Besichtigung der Villa Hadriana und der Villa d’Este an. Die Villa Hadriana, ein gigantisches Areal, dass einst einem römischen Kaiser als Sommerresidenz diente, ist nur als Modell zu überblicken. Dort reihen sich Paläste, Thermen, Gärten und Theater aneinander wie in einer kleinen Paradieswelt. Auch in der Realität sind die rekonstruierten Wasserbecken, Säulengänge und Spazierwege paradiesisch, auch wenn wir uns vor allem von den putzigen Schildkröten beeindrucken lassen. In der gleißenden Mittagssonne breitet sich vor uns ein teils akkurat angelegter, teils verwilderter Garten aus, in dem an jeder Ecke gespenstisch große Fragmente antiker Bauwerke zum Vorschein kommen. Über allem liegt eine andächtige Stille, nur selten kommt man an anderen Touristengruppen vorbei. In einem kleinen Wäldchen, dass etwas abseits liegt, trifft schließlich ein Großteil unserer Gruppe zum Picknick zusammen. In dieser zauberhaften Umgebung erscheint unser kleines Lager seltsam unbedeutend, und wir rücken zusammen, lachen, hören leise Musik und unterhalten uns über Sport und Schule – eine Parallelwelt zu dieser allumfassenden Präsenz der Antike.

Trotz des unglaublich heißen Wetters wagt sich ein Teil der Gruppe gemeinsam mit Frau Knobelsdorf in einem klapprigen italienischen Bus noch weiter zur Villa D’Este vor – und wird reich belohnt. Die Villa zeichnet sich vor allem durch ihre riesigen Gärten und Springbrunnen aus, die Luft ist hier kühler und weniger trocken und vor uns liegt eine akkurat angelegte und gut erhaltene Parkanlage auf mehreren Terrassen, wie ein antikes Sanssouci. “Nur die Harten komm’ in Garten”, sagt Frau Knobelsdorf, und erschafft damit unwissentlich den Leitsatz der Reise. Wir flanieren auf Steinwegen durch die begrünten Brunnengruppen, begleitet von dem Plätschern des Wassers, wir bewundern die antiken Skulpturen und verlieren uns in der Ruhe der kleinen Nischen und Ecken des Geländes. Große Bogenfenster in der Begrenzungsmauer bieten eine fantastische Aussicht auf das tiefer gelegene Umland, auf Wiesen und Mohnblumen unter einem sommerblauen Himmel.

Am letzten Tag sind wir zwiegespalten: Einerseits sind wir vollends erschöpft von den Märschen der vergangenen Tage, andererseits möchte niemand die Stadt so wirklich gehen lassen. Wir laufen ein letztes Mal durch die Straßen Roms, vorbei an all den Orten, an die wir uns in unserer abendlichen Freizeit schon so gewöhnt haben: Unser kleines Stammlokal schräg gegenüber vom Hotel, die Schmuckstände an der Statione Termini, die ausgetretenen Stufen der spanischen Treppe und die beste Pizzeria der Welt, in einer Nebenstraße der Via del Corso in der Nähe des Trevibrunnens. Schließlich ist es soweit, wir verlassen Rom mit dem Shuttlebus und betreten das kulturneutrale, globalisierte Innere des Flughafengebäudes mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wir werden Rom vermissen, so viel steht fest.

Ein herzlicher Dank gebührt Frau Knobelsdof und Frau Dr. Vorwald für diese wunderschöne Fahrt, dafür, dass sie für uns die Touristenführer gespielt haben, unser ständiges Zuspätkommen ertrugen und diese Woche zu einem unvergleichlichen Erlebnis gemacht haben.

Lisa Starogardzki, 2. Semester, Juni 2015