Flyergewusel am Tag der offenen Tür
Es ist Samstag, halb zehn, ich haste verschwitzt die Treppe vorm Haupteingang hoch – spät dran! – und finde mich plötzlich umgeben von flirrender Geschäftigkeit. Schüler eilen die Flure hinunter, Lehrer werfen suchende oder misstrauische Blicke aus den halbgeöffneten Türen der verschiedenen Fachräume, Tesakrepp wird hin und her gereicht und der erschöpft brummende Kopierer steht kurz vorm Burnout.
Skikurs? Skikurs? Wo ist der Skikurs? In Raum 110? Oder doch in der Sporthalle? Jetzt könnte ich einen Fremdenführer gebrauchen, einen von den Neuntklässlern vielleicht, die vorm Sekretariat für potenzielle Besucher bereitstehen.
Auf halbem Weg zu Raum 110 drückt man mir mein Namensschild in die Hand – Lisa Starogardzki: Redakteurin Schülerzeitung – mein Gott, wie vornehm. Ich schnorre mir beim Förderverein noch ein Walther-Rathenau-Gymnasium-T-Shirt, sprinte in den ersten Stock – und stehe vor einer verschlossenen Tür. Also doch die Sporthalle. Die Odyssee geht weiter.
In der Mädchenumkleide läuft bereits unsere Präsentation, um die sich ein paar neugierige Schüler geschart haben. Das Plakat mit Skikursfotos, das an der Tür zur Sporthalle klebt, stammt allerdings nicht von uns. Es ist meines Erachtens dasselbe, das schon bei einem Tag der offenen Tür vor nunmehr fünf Jahren dort hing, den ich selbst als Sechstklässlerin besuchte. Damals habe ich die Broschüre aus dem Fachbereich Französisch mit Feuereifer studiert (bevor mich Schulalltag und Vokabelstress einholten), in der Chemie mit Herrn Müller (nun, ich glaube zumindest, dass es Herr Müller war) irgendwelche Münzen versilbert (Verchromt? Verzinkt? Was weiß ich.) und unter Herrn Schaepers Obhut auf einem der ersten Smartboards unserer Schule eine Mittelmeerkarte mit pinkfarbenen Peacezeichen verziert.
Während ich in Gedanken noch bei “meinem” Tag der offenen Tür bin, kopiere ich eifrig Skikursflyer und Plakate und positioniere mich dann strategisch günstig am Haupteingang, um den Besuchern Flyer und Schülerzeitungs-Leseproben anzudrehen, bevor sie wieder Reißaus nehmen können.
Irgendwann sind meine Heftchen alle und ich ende im Fachbereich Deutsch, der Länge nach auf einem Schultisch liegend (später sitzend), und die hereinkommenden Leute beobachtend, ihre Fragen und die Antworten, die sie erhalten, belauschend. Kaum jemand stellt mir eine Frage – wahrscheinlich strahle ich einfach nicht genügend Kompetenz aus, und nur ein kleiner Junge scheint sich tatsächlich für die Schülerzeitung zu interessieren: Er will wissen, wann wir uns treffen, wie oft, was wir besprechen, worüber wir schreiben.
Währenddessen scheint die Siebte-Klassen-Problematik mahnend über allem zu schweben: Einerseits sind wir alle ganz sicher, dass es dieses Jahr auf jeden Fall wieder siebte Klassen geben wird, andererseits sind wir aber auch ein bisschen angespannt, lächeln verkrampft enthusiastisch und legen uns übermäßig ins Zeug, als hinge das Schicksal dieser Schule allein von diesem Tag ab.
Die Besucher selbst wirken ein wenig überfordert, vor allem von dem dicken Papierstapel, den sie am Haupteingang von einem beständig grinsenden Herrn Karnatz in die Hand gedrückt bekommen: Raumplan, Flyer, Schülerzeitung, Skikurs, Visitenkarte, Kugelschreiber und was-weiß-ich-noch-alles. Wir hätten uns wohl vorher ein bisschen besser absprechen sollen – ein Blatt, das einen Überblick über alle Angebote gibt, vielleicht mit einem Raumplan auf der Rückseite, hätte völlig ausgereicht. Zumindest aber hätten die Flyer wohl in ihren angestammten Fachbereichen bleiben sollen, damit nicht alles auf einmal kommt und die Flyerverteiler auch noch die Möglichkeit haben, etwas zu ihren Papierchen zu sagen.
Trotzdem wird uns wohl kaum jemand aufgrund unserer Zettelwirtschaft verurteilen, und mal ehrlich: den Eindruck einer super-engagierten (wenn auch etwas unorganisierten) Schule zu machen, ist wohl auch nicht das Schlechteste.
Lisa Starogardzki und Jan Hilgendorf (Fotos), 2. Semester