Hirn im Käfig

Unsere beiden Projekttage, die aus bisher unbekannten Gründen (ich tippe auf Wunschdenken der Schüler oder eine Rechenschwäche der Lehrer) als Projektwoche bezeichnet werden, beginnen mit einem großen Gedränge. Vor der Tafel am Haupteingang steht ein ratloser Pulk Schüler und betrachtet die nicht sonderlich informativen Überschriften der Teilnahmelisten.

Möglicherweise durch den Mangel an Informationen oder eine allgemeine Abneigung gegenüber zäher Schreiberei begünstigt, findet das Projekt “Sport in der DDR” besonderen Zuspruch. Nach wenigen Minuten sind alle Plätze belegt, was unsere hochverehrten Interessentinnen und Interessenten dazu verleitet, uns ein höchst seltenes Phänomen der Psychologie zu demonstrieren: Furchtlos schlagen sie jegliche moralische Grundsätze und durchdachte Reaktionsmöglichkeiten in den Wind und entscheiden sich kurzerhand dazu, die Namen anderer aus der Liste zu streichen, um Platz für die eigenen zu schaffen.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich die Erfolgschancen dieser Strategie für eher gering erachte.
Trotz der anfänglichen Entscheidungsschwierigkeiten herrscht zumindest in meiner Projektgruppe eine recht motivierte Stimmung und obwohl man uns bei der Wahl der Themen und deren Bearbeitung größtenteils freie Hand lässt, sind unsere Ergebnisse relativ umfangreich.
Am Ende sind wir uns alle einig: Die Projektwoche war eine tolle Idee, aber eindeutig zu kurz!
Außerdem äußern einige Schüler Kritik an der doch sehr entspannten Arbeitsatmosphäre, was mir zu Denken gibt.

Obwohl ich doch sehr hoffe, dass diese Unzufriedenheit auf der Vorstellung beruht, die Lehrer hätten sich möglicherweise allzu sehr entspannt, während die Schüler arbeiten mussten, so habe ich doch das Gefühl, dass der eigentliche Grund ein anderer ist:

Haben wir die Lernatmosphäre, die wir seit der ersten Klasse vorgelebt bekommen, dieses allgegenwärtigen Prinzip des Lehrmeisters, des Vorgesetzten, der über alles entscheidet und nur konkrete Teilaufgaben an seine Untergebenen vergibt, bereits so verinnerlicht, dass sich jede Möglichkeit der freien Entfaltung, des selbstständigen Arbeitens für uns ungewohnt und falsch anfühlt? Sind wir als Teile des Systems schon so weit gekommen, das wir nicht mehr in der Lage sind, autonom zu denken und zu handeln, und das, obwohl wir doch immer so auf die Rechte des Individuums pochen? Ich weiß, dass die Antwort Ja lautet, zumindest für mich.
Manchmal ist es doch wirklich verwunderlich, welch tiefgründige Fragen so eine Projektwoche aufwerfen kann.

In diesem Sinne,
Die Möchtegernphilosophin, die sich nun brav dem von ihr angeprangerten System beugt und ihre Hausaufgaben macht.

Lisa Starogardzki, 1. Semester